Die REFA-Methodenlehre – Relikt oder Zukunftschance?
Der REFA Bundesverband e. V. ist eine in Deutschland ansässige Organisation, deren Fokus auf der Erarbeitung von Methoden zur betrieblichen Datenermittlung und zum Prozessmanagement liegt. Ihr Ziel ist es, durch das Optimieren von Wertschöpfungsketten die Wirtschaftlichkeit von Betrieben auf unterschiedlichen Ebenen zu steigern. Hierzu bietet der REFA-Verband ein modulares Aus- und Weiterbildungsprogramm an, in dem die Schlüsselkompetenzen an entsprechende Fachkräfte vermittelt werden. Die verbandseigene Methodenlehre erfolgt dabei in enger Abstimmung mit den Tarifparteien. Doch wie lässt sich die Rolle des REFA-Verbandes aus wirtschaftshistorischer Perspektive beschreiben? Welche grundlegenden Merkmale zeichnen seine Methodenlehre aus? Und wird sich das Prinzip REFA auch zukünftig in Anbetracht der fortschreitenden Digitalisierungstendenzen behaupten? Diese und weitere Fragen wird der folgende Beitrag eingehender betrachten.
Die historische Rolle des REFA-Verbandes
Der heutige REFA-Verband wurde 1924 als Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung (REFA) gegründet. Vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen innerhalb der industriellen Produktion zählte die Optimierung der Arbeitsleistung durch die Anfertigung von Zeitstudien und der Findung entsprechender Kalkulationsmethoden zu seinen frühesten Zielen. Ein wichtiger Ausgangspunkt waren hierbei die Ideen des Scientific Managements, die 1911 erstmals durch den US-amerikanischen Ingenieur Frederick Winslow Taylor eingeführt wurden [1]. Sein Managementkonzept sah unter anderem die Trennung von planender und ausführender Arbeit, die Vorgabe festgelegter Arbeitspensa und die Durchführung von Zeitstudien zur Verbesserung von Ablaufprozessen vor. Damit war der REFA-Verband wesentlich an der ersten Einführung standardisierter Fertigungsverfahren und der Etablierung der Akkordarbeit in Deutschland beteiligt.
Mit dem Aufkommen des Industrial Engineerings richtete der REFA-Verband seine Methodenlehre nach dem 2. Weltkrieg vermehrt an modernen Planungsverfahren aus. So gewannen in diesen Jahren etwa die Aspekte der Arbeitssystemgestaltung, der Zeitwirtschaft und der Arbeitssteuerung an zentraler Bedeutung [2]. Das Ziel der unternehmerischen Wirtschaftlichkeit wurde ab den 1970er-Jahren zudem verstärkt durch Ansätze der menschengerechten Arbeitsgestaltung ergänzt. Die neue Betonung von Aspekten des Gesundheitsschutzes und der Arbeitszufriedenheit ging 1977 mit der Umbenennung in den REFA – Verband für Arbeitsstudien und Betriebsorganisation e. V. einher.
Mit dem Aufkommen des Toyota-Produktionssystems (TPS) in den 1990er-Jahren setzte schließlich ein erneuter Wandel der industriellen Produktion ein. Im Zuge dessen wurde die bisherige Methodenlehre des REFA-Verbandes weitestgehend durch modernere Ansätze des Industrial Engineerings ersetzt. Neben Aspekten der Prozess- und Wertstromorientierung rückte dabei ebenso die Relevanz ganzheitlicher Produktionssysteme in den Mittelpunkt. 1998 erfolgte darüber hinaus die Gründung der refaconsult GmbH, die Leistungen im Feld der Unternehmensberatung anbietet. Diese neue Gewichtung führte 2000 zur Umbenennung der Dachorganisation in den REFA Bundesverband e. V..
Die Rolle der REFA-Techniker/-innen – Kompetenz und Know-how in der operativen Prozessgestaltung
Generell umfasst der Pool an REFA-Fachmännern/-frauen Fachkräfte mit unterschiedlichen Spezialisierungen. Zu der häufigsten Ausbildungsrichtung zählt die Gruppe der REFA-Techniker/-innen. In mehrmonatigen Lehreinheiten werden diese in allen zentralen Kompetenzbereichen der REFA-Methodenlehre geschult [3]. Nach bestandener Grundausbildung können zudem spezielle Zusatzzertifikate – wie etwa zum/-r REFA-Techniker/-in für Industrial Engineering – erworben werden.
Durch das Weiterbildungsprogramm qualifiziert sich ein/-e REFA-Techniker/-in zur praktischen Umsetzung der aktuellen REFA-Methoden in betrieblichen Kontexten. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem Aspekte zu Arbeitssystemen und zur Prozessgestaltung sowie Themen des Prozessdatenmanagements [8]. So umfasst der erstere Bereich unter anderem Inhalte zur Planungssystematik und zum Qualitätsmanagement wie auch Methoden zur Analyse von Zeit- und Prozessdaten. Der Fokus im Feld des Prozessdatenmanagements liegt hingegen auf Fragen der Anforderungsermittlung, der Zeitaufnahme und dem Entgeltmanagement. Je nach Schwerpunkt werden diese Grundlagen zudem durch weiterführende Spezialkenntnisse ergänzt. So weisen REFA-Techniker/-innen üblicherweise zusätzliche Kompetenzen in den Bereichen der Produktions- und Lagerlogistik, dem Marketing und dem Top-Quality-Management auf. In betrieblichen Kontexten sind REFA-Techniker/-innen deshalb unter anderem für das Optimieren der Wertschöpfung, das Gestalten von Produktionssystemen, den Ausbau integrierter Managementsysteme und das Betreuen des operativen Qualitätsmanagements verantwortlich [4].
Immer kürzere Innovationszyklen und ein hoher Grad an Veränderung stellen die heutigen Unternehmen vor eine Vielzahl neuer Herausforderungen. Die beschleunigte Entwicklungs- und Produktionszeit von Waren und Dienstleistungen wird dabei zunehmend von Formen der Digitalisierung begleitet, die zu einer Restrukturierung vieler Wirtschaftsbereiche führen [5]. In einer solchen Zeit des kontinuierlichen Wandels erweisen sich die fachspezifischen Kompetenzen eines/-r REFA-Technikers/-in als besonders wertvoll. Denn nicht nur können diese die jeweiligen Systeme durch proaktive Veränderungsprozesse optimal an die neuen Herausforderungen anpassen. Sondern zugleich tragen sie durch ihre Fachkenntnisse zu einer effizienten Einschätzung der Risiken und Potenziale digitaler Transformationen bei. Mit ihrer Schlüsselposition zwischen Geschäftsführung und Mitarbeiter/-innen kommt darüber hinaus gerade Fachkräften des Industrial Engineerings oftmals eine tragende Rolle in der Gestaltung flexiblerer Arbeitsumwelten zu.
Die REFA-Zeitaufnahme – Von der Stoppuhr zur gesamtheitlichen Betriebsführung
Traditionell bildet die Zeitaufnahme den Kern der REFA-Methodenlehre. Dabei handelt es sich um die gezielte Erfassung jener Zeiteinheiten, die für einzelne Arbeits- oder Fertigungsabläufe benötigt werden. Die Zeitaufnahme liefert somit grundlegende Informationen, die anschließend für unterschiedliche Kalkulationen – wie etwa Personalbemessungen oder Maschinenauslastungen – genutzt werden können. Im selben Moment lassen sich daraus Möglichkeiten für Rationalisierungen und Prozessoptimierungen ableiten. Im Zuge der zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitswelt wird die aktuelle Relevanz der REFA-Zeitmessung allerdings immer wieder kritisch diskutiert. Doch was spricht aus heutiger Perspektive für und was gegen ihre Potenziale?
Ein wichtiger Kritikpunkt an der REFA-Zeitmessung ist der Umstand, dass die Aufnahme und Auswertung von statistisch zuverlässigen Zeitdaten prinzipiell mit einem hohen Aufwand verbunden ist. Nicht wenige Unternehmen stellen deshalb ihren Mehrwert infrage [6]. Zudem kann die Zeitmessung nur bei Arbeitsprozessen angewendet werden, die einer beobachtbaren Ablauffolge unterliegen. Entsprechend problematisch erweist sich somit das Erfassen von geistigen Tätigkeiten oder von unregelmäßigen Arbeitsvorgängen aus dem Home Office. Darüber hinaus stellt eine Zeitaufnahme auf unterschiedlichen Ebenen eine erhöhte Belastung für Mitarbeiter/-innen dar [7]. Die problemlose Vereinbarkeit mit gegenwärtigen Modellen der Mitarbeiterführung scheint deshalb bisweilen fraglich.
Andererseits zeigen sich aktuelle und zuverlässige Zeitdaten auch heute noch als zentrale Grundlage für die erfolgreichen Planungen eines Unternehmens. Dies gilt nicht nur für die Entlohnung der Mitarbeiter/-innen, sondern ebenso für Materialbestellungen, Personalbemessungen oder die Festlegung der Auftragszeiten [6]. Die statistisch abgesicherte Informationsgenauigkeit der erfassten Zeitdaten gehört somit weiterhin zu den großen Vorteilen einer REFA-Zeitaufnahme. Darüber hinaus gewährleistet der automatische Einbezug individueller Leistungsschwankungen eine größtmögliche Objektivität der Zeitwerte. Insofern gelingt es der REFA-Zeitaufnahme einen äußerst repräsentativen Ist-Zustand der Abläufe zu erstellen. Anhand diesem lassen sich anschließend optimierende Maßnahmen ergreifen, die von der Produktionsebene bis hin zu strategischen Entscheidungen zur Profitabilität eines Unternehmens beitragen.
Auch wenn die REFA-Methodenlehre noch immer vorwiegend mit ihrem ursprünglichen Kerngebiet der Zeitstudien assoziiert wird, nimmt sie heute betriebliche Systeme aus einer ganzheitlichen Perspektive in den Blick [4]. Neben den technischen und wirtschaftlichen Grundlagen rückt sie dabei ebenso Aspekte des Managements und der menschengerechten Arbeit in den Mittelpunkt. Ihr zukünftiges Potenzial beschränkt sich deshalb nicht alleine auf die effiziente Gestaltung von Ablauf- und Veränderungsprozessen. Vielmehr übernimmt sie auch eine wichtige Rolle hinsichtlich der Frage, wie sich unter den Vorzeichen der Digitalisierung eine tragende Balance zwischen Automatisierung und menschlich durchgeführten Arbeiten etablieren lässt [5].
Quellenverzeichnis
[1] Taylor, F. W.: „The Principles of Scientific Management“, Harper & Brothers, 1911.
[2] Kuhlang, P. u. Sihn, W.: „Historische Entwicklung des Industrial Engineerings“, in: WINGbusiness, 2020: Link.
[3] ntv: „Wie werde ich…? REFA-Fachmann“, 2009: Link.
[4] Mintken, K.-H.: „REFA im Wandel: Von den Zeitstudien zur gesamten Betriebsführung“, Artikel Nr. 39, 2020: Link.
[5] Ahrens, V.: „Die zukünftige Bedeutung der REFA-Methodenlehre im Rahmen von Industrie 4.0“, Arbeitspapiere der Nordakademie, 2018: Link.
[6] Fischer, H.: „Sind Zeitaufnahmen nicht mehr wichtig?“, 2017: Link.
[7] Bundesverwaltungsamt: „Zeitaufnahme“ in: Organisationshandbuch, 2020: Link.
[8] REFA Hessen: „REFA-Techniker für Industrial Engineering – Optimieren der Wertschöpfung mit REFA“, 2017: Link.