Junge Führungskräfte – verzogene Generation oder Fehleinschätzung?
Wir alle sind geprägt von einer Berufswelt, in der Alter und Erfahrung den Weg in führende Positionen ebneten. Lange Zeit galt das Senioritätsprinzip als ungeschriebenes Gesetz. Doch der Wandel im Berufsleben, die digitale Revolution und auch der demografische Wandel zwingen uns alle zum Umdenken. Immer öfter holen Unternehmen junge Führungskräfte heran. Dadurch ergeben sich zwangsläufig Herausforderungen, vor denen Teams und Management in dieser Form bisher noch nicht gestanden haben. Aber wie gelingt der Schritt in diese neue Arbeitswelt?
Die Psychologie der sozialen Hierarchie
Wir alle werden in ein festes Konstrukt der Generationen hineingeboren. Kinder sind hilflos, unerfahren und schutzbedürftig. Sie haben ein natürliches Anrecht auf Führung und Unterstützung, müssen aber auch lernen, sich in Regeln einzufügen und Autoritäten anzuerkennen. Die mittlere Generation erfüllt Aufgaben in allen Bereichen: Sie müssen sorgen und schützen, gleichzeitig aber auch stetig lernen und reifen. Die Senioren dagegen haben ein Anrecht darauf, die Früchte ihrer Arbeit zu genießen und schöpfen aus einem reichen Erfahrungsschatz. Sie werden für ihren Rat und ihre Gelassenheit geschätzt.
In einer idealisierten Welt wären also die Rollen klar verteilt und es gäbe keine Konflikte. Lediglich an Marken wie der Pubertät oder der Midlife-Crisis gäbe es gelegentlich Reibereien, denn der Übergang in einen neuen Lebensabschnitt bringt auch immer viel Unsicherheit mit sich – schließlich müssen wir lernen, eine neue Rolle auszufüllen. Um das tun zu können, müssen wir auch eine neue Identität kreieren und neue Kompetenzen entwickeln. Was schon in der Familie sehr prägend ist, lässt sich natürlich im Berufsleben kaum mal eben so abschütteln. Jeder Mensch steht also vor der Herausforderung, seinen Platz im Gefüge der Generationen zu finden und auszufüllen. Privat und beruflich.
Wir sind nicht nur Arbeitskräfte, wir sind auch Mensch!
Der Wandel im Berufsleben verlangt immer öfter von uns, die Rollen zu tauschen. Da steht dann plötzlich dieser junge Spund, frisch von der Uni, und maßt sich an, Mitarbeitern, die vielleicht schon kurz vor der Rente stehen und seit vielen Jahren im Betrieb sind, Anweisungen zu geben. Ein derartiger Generationenwechsel kann nur zu Reibereien führen! Denn er setzt tief verwurzelte Gewohnheiten außer Kraft und berührt uns – ob wir wollen oder nicht – auf einer emotionalen Ebene. Die Fronten mit Vorurteilen zu verhärten, ist allerdings für niemanden zielführend!
Trotzdem kursieren in vielen Unternehmen Vorurteile, die eine konstruktive Zusammenarbeit erschweren oder sogar unmöglich machen. Die jungen Führungskräfte werden als faul, verzogen und unerfahren empfunden, ältere Mitarbeiter gelten als stur, unbelehrbar und wenig lernbereit. Nur Empathie, Motivation auf beiden Seiten und eine fundierte Schulung junger Führungskräfte können diesen Teufelskreis durchbrechen. Denn wenn es »menschelt«, steht jeder Mitarbeiter vor der Aufgabe, seine persönlichen Gefühle in eine professionelle Beziehung zur Führungskraft zu transformieren. Das setzt gerade bei jungen Führungskräften soft skills voraus, die weit über ihre beruflichen Kompetenzen hinausgehen. Hier sollten Unternehmen ihre jungen Führungskräfte auf keinen Fall allein lassen, denn sonst drohen Überforderung und Frustration, die es unmöglich machen, eine führende Position motivierend auszufüllen!
Auf junge Führungskräfte verzichten?
66% aller deutschen Arbeitnehmer ziehen es vor, wenn ihr Vorgesetzter älter ist als sie. Schon am ersten Arbeitstag weit über die Hälfte der Belegschaft gegen sich zu haben, vermittelt jungen Führungskräften natürlich nicht das Gefühl, willkommen zu sein. Im Jahr 2018 betrug das Durchschnittsalter deutscher Führungskräfte laut Statistik [1] 51,9 Jahre, 17,1 % der Führungskräfte waren zwischen 61 und 70 Jahre alt – also in einem Alter, in dem andere schon an den Ruhestand denken. Und genau da liegt die Herausforderung. Die Zahl der Führungskräfte, die sich in den nächsten Jahren zurückziehen werden, ist enorm. Und ihre Positionen müssen, bedingt durch den demografischen Wandel, durch weitaus jüngere Kräfte ersetzt werden.
Das Portal SpringerProfessionell [2] berichtet aber, dass laut einer Studie junge Führungskräfte einem Unternehmen sogar schaden können. Unternehmen werden also umdenken und sich auf den Wechsel vorbereiten müssen. Wir brauchen im zukünftigen Erwerbsleben Strukturen, die es jungen Führungskräften ermöglichen, nicht nur zu leiten, sondern wirklich zu führen. Wahre Führung entsteht nicht durch die Position, sondern durch die Akzeptanz der Mitarbeiter. Nur, wer aufgrund seiner Kompetenzen als natürliche Autorität wahrgenommen wird, ist ein Anführer. Führungspersönlichkeiten, die nur wegen ihres Titels als Chef wahrgenommen werden, kann sich kein Unternehmen leisten. Wir brauchen also Wege, den Generationenwechsel so zu vollziehen, dass ältere Mitarbeiter ihren jungen Vorgesetzten mit Respekt und Akzeptanz begegnen können.
Junge Führungskräfte stärken
Auch auf der Seite der jüngeren Generationen wirken tief verwurzelte Gewohnheiten, die zu einer unsicheren Ausstrahlung führen können. Wer sich noch gut an die Zeit seiner Ausbildung erinnern kann, ist daran gewöhnt, in der hierarchischen Struktur unten zu stehen – nur, wer tut, was die Lehrer, die Meister und Professoren sagen, erreicht einen erfolgreichen Abschluss, der zum Führen befähigt. Für junge Führungskräfte bedeutet das, vor einem gewaltigen Berg aus komplexen Aufgaben zu stehen.
Berufliche Kompetenzen haben junge Fachkräfte mit Sicherheit schon erworben, denn sonst würde kein Unternehmen sie für eine Führungsposition in Betracht ziehen. Im Umgang mit älteren Mitarbeitern treffen also aktuelles Fachwissen und Erfahrungswissen aufeinander. Auch die berufliche Sozialisation spielt eine enorm große Rolle in den informellen Strukturen eines Unternehmens. Nicht nur die jüngeren Mitarbeiter sind daran gewöhnt, dass die älteren sagen, wo es lang geht! Junge Führungskräfte brauchen also vonseiten des Unternehmens Unterstützung, um in ihre führende Position hineinzuwachsen – denn wenn sie sich den Respekt ihrer Belegschaft erst verdient haben, spielt das Alter keine Rolle mehr.
Praktische Tipps für junge Führungskräfte
Der erste und wichtigste Schritt zur einer erfolgreichen Führung der Mitarbeiter liegt in der Akzeptanz des altersspezifischen Konfliktpotenzials. So zu tun, als gäbe es kein Problem, wäre blauäugig und nicht zielführend. Empathie für die Sorgen der Angestellten dagegen ist der beste Weg, Stärke zu beweisen und effizient zu arbeiten – gemeinsam, nicht gegeneinander. Naturgemäß haben ältere Mitarbeiter kein Interesse daran, sich einem autoritären Führungsstil zu unterwerfen, wenn ein Vorgesetzter sich im Alter ihrer Kinder befindet. Begegnungen auf Augenhöhe dagegen wirken Wunder! Ein herablassendes »Okay, Boomer!« zeugt nicht gerade von natürlicher Autorität, sondern nur von Unsicherheit. Wechselseitige Kommunikation mit Respekt und Wertschätzung dagegen ebnet den Weg in eine fruchtbare Zusammenarbeit. Ein Vorgesetzter, der um seine Kompetenzen weiß, kann:
- höflich fragen, statt anzuordnen
- das Gespräch suchen, statt ins Büro zu zitieren
- auf äußere Status-Symbole verzichten
- Kritik auf der Sachebene halten, statt persönlich zu werden
- zuhören und die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter ernst nehmen
- Erfahrung schätzen und ältere Mitarbeiter in Entscheidungen einbeziehen
- Autorität vs. Augenhöhe
Der Generationenwechsel im Erwerbsleben findet statt, so viel ist sicher. Und jeder Wechsel bringt auch einen Wandel mit sich. Im nun anstehenden Wechsel liegen aber auch sehr viele positive Chancen! Wenn Unternehmen nicht nur auf berufliche Fachkompetenz setzen, sondern ihren jungen Führungskräften auch die so wichtigen soft skills der Mitarbeiterführung vermitteln, kann der Arbeitsmarkt sich in eine völlig neue Richtung entwickeln. Die Zeiten, da alle aufstanden, sobald der Chef das Großraumbüro betrat, sind endgültig vorbei. Erstens würde kein »Boomer« mehr aufstehen, wenn da so ein junger »digital native« auf seinen Turnschuhen durchs Büro hüpft. Zweitens wissen junge Fachkräfte längst, dass ihre Kompetenzen nicht in autoritärem Gehabe liegen.
Jetzt haben wir die Chance, den Generationenkonflikt als eine konstruktive Chance zu betrachten. Wenn Jung und Alt einander in dem Wissen respektieren, dass jede Generation ihre eigenen Fähigkeiten, Herausforderungen und Stärken mitbringt, können sie gemeinsam Konflikte lösen, ohne sich persönlich kritisiert zu fühlen. So schließt sich der Kreis auf einer neuen Ebene. Wird auf Augenhöhe kommuniziert, können beide Generationen ihre natürlichen Rechte in Anspruch nehmen. Ältere Mitarbeiter können ihre Erfahrung weitergeben und dafür Anerkennung erfahren, jüngere Führungskräfte können lernen, wachsen und Erfahrungen sammeln, um ihre neue Rolle mit Energie und Kompetenz auszufüllen.
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/182536/umfrage/durchschnittsalter-von-geschaeftsfuehrern-nach-bundeslaendern-und-geschlecht/
[2] https://www.springerprofessional.de/leadership/konfliktmanagement/junge-chefs-werden-nicht-akzeptiert/15950966