Kommen die deutschen Unternehmen in der VUCA-Welt zurecht?
Der folgende Beitrag widmet sich dem Begriff der VUCA-Welt und der Frage, welche Herausforderungen der Trend für deutsche Unternehmen bereithält. VUCA basiert auf den veränderten Rahmenbedingungen unserer heutigen Welt und kann daher als ein natürliches Phänomen gesehen werden, mit dem Menschen und Unternehmen lernen müssen umzugehen. Doch welche Hindernisse gibt es noch und was muss sich ändern, damit wir den Anschluss nicht verlieren?
Woher kommt VUCA?
Das Akronym VUCA entstammt dem Jargon des US-amerikanischen Militärs und beschrieb in den 1990er Jahren die turbulenten Bedingungen moderner Kriege. Asymmetrische Kriegsführung in Form dezentraler, agiler Strukturen brachte häufiger den gewünschten Erfolg als bisher und man entwickelte ein neues Bewusstsein für schnelle Veränderungen (Volatility), zunehmende Unsicherheit und Komplexität (Uncertainty und Complexity) und mehrdeutige Situationen sowie Informationen (Ambiguity).
Ein Auslöser für den Transfer des VUCA-Konzepts in die Unternehmenswelt war die weltweite Finanzkrise im Jahr 2008. Bestehende Geschäftsmodelle wurden obsolet und Unternehmen bemerkten, dass ihr Umfeld sich radikal veränderte und herkömmliche Führungsmethoden an ihre Grenzen stießen. VUCA beschreibt in dieser neuen Welt – und verstärkt noch durch die zunehmende Digitalisierung seit dem Jahr 2011 – die veränderten Rahmenbedingungen, die nun die Grundlage für Entscheidungsfindungen bilden. Da die Rahmenbedingungen sehr schnell wechseln und Interessenkoalitionen immer komplexer werden, haben Informationen nur noch wenig Aussagekraft. Unternehmen müssen sich an die neue VUCA-Arbeitswelt anpassen und Führungskräfte müssen verändert agieren – im Militär ebenso wie in der Wirtschaft.
Die Megatrends Globalisierung und Digitalisierung, die zunehmende Konnektivität sowie das Paradigma der New Work können als antreibende Kräfte von VUCA gesehen werden. Sie betreffen alle Bereiche menschlicher Interaktion, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Die aktuellen und zukünftigen Entwicklungen und Herausforderungen für die Arbeitswelt werden in den folgenden vier VUCA-Grundannahmen beschrieben:
- Volatility (Volatilität) meint die zunehmende Geschwindigkeit von Veränderungen. Auch deren Dynamik und Umfang werden größer, wie beispielsweise das starke Schwanken der Kurse an der Börse zeigt.
- Uncertainty (Unsicherheit) bezieht sich auf die abnehmende Prognostizierbarkeit von Themen und Ereignissen. Kausale Zusammenhänge werden unklarer und die Folgen der eigenen Handlungen lassen sich kaum noch vorhersagen. Das Abschätzen zukünftiger Entwicklungen auf dem Markt angesichts der Produkteinführung eines Wettbewerbers ist beispielsweise nur noch schwer möglich.
- Complexity (Komplexität) beschreibt die zunehmende Anzahl von Handlungsmöglichkeiten und Abhängigkeiten sowie das Schwinden linearer Zusammenhänge. Es gibt vermehrt widersprüchliche Interessen, was sich beispielsweise auf den globalen Absatzmärkten zeigt, bei denen jedes Land andere Gesetze, wirtschaftliche Interessen und kulturelle Werte vertritt.
- Ambiguity (Ambiguität) meint die zunehmende Mehrdeutigkeit von Fakten. Alles lässt sich auf mehreren Wegen interpretieren und selbst zwei widersprüchliche Aussagen können beide zutreffend sein.
Die vier Dimensionen sind wechselseitig voneinander abhängig beziehungsweise überschneiden sich zum Teil. Mack (2016) sieht in der zunehmenden Complexity eine Schlüsselrolle, da die Dimensionen Volatility und Uncertainty erst aus ihr entstehen. Die daran anschließende Entscheidungsfindung ist durch Ambiguity, also Mehrdeutigkeit, geprägt. (vgl. Mack et al.: 2016, 7)
Auswirkungen von VUCA auf die Wirtschaft
Der starke Wettbewerb, die zunehmenden Verflechtungen der Wirtschaftskreisläufe und die Schnelllebigkeit beziehungsweise Volatility der Wirtschaftwelt üben auf Unternehmen einen starken Innovationsdruck aus. Diese sind gezwungen, noch schneller und flexibler auf Ereignisse und Trends zu reagieren, gleichzeitig fällt längerfristiges Planen immer schwerer. Da die Entwicklung der Märkte so ungewiss ist (Uncertainty), kann nicht mehr auf bewährte Rezepte zurückgegriffen werden (Complexity). Eine Folge daraus war beispielsweise das Vorgehen von Volkswagen in der Diesel-Affäre. Der Konzern legte im Rahmen der Krise nicht seinen üblichen Fünfjahres-Plan vor, sondern entschied sich, „auf Sicht zu fahren“.
Die zunehmende Verflechtung der globalen Wirtschaftskreisläufe hat größere Abhängigkeiten zwischen Unternehmen zur Folge. Gleichzeitig fehlt es an politischen und rechtlichen globalen Rahmenbedingungen. Vor diesem Hintergrund wird mentale Agilität auf dem Arbeitsmarkt zur Schlüsselkompetenz; es braucht verstärkt Generalisten, die sich schnell auf neue Sachverhalte einstellen können und hochgradig anpassungsfähig sind. Weil lineare Ursache-Wirkung-Zusammenhänge nicht mehr so leicht erkennbar sind, lässt auch die Wirksamkeit bisher erfolgreicher Geschäftsmodelle nach und es muss immer wieder nach neuen, innovativen Lösungen gesucht werden.
Ob Forschung und Entwicklung oder Marketing und Vertrieb – alle Bereiche eines Unternehmens erleben die Veränderungen der VUCA-Welt. Die Kundenbindung an einzelne Marken lässt nach, Unternehmen diversifizieren sich und sorgen deshalb für mehr Wettbewerb auf dem Markt. Diese und weitere Entwicklungen sorgen dafür, dass man sich flexibel auf immer neue Kunden und Wettbewerber einstellen muss. Dadurch steigt auch die Ungewissheit bezüglich der Marktentwicklungen. Die neue Regel der VUCA-Führung lautet deshalb: Arbeiten Sie auf den Best Case hin, doch machen Sie sich auf den Worst Case gefasst.
Herausforderungen für deutsche Unternehmen
Die Führung in der VUCA-Arbeitswelt steht sowohl den bisher geltenden politischen Strategien als auch den Managementstrategien in der Privatwirtschaft konträr gegenüber. VUCA bedeutet Dynamik, Veränderung und Mehrdeutigkeit – daher sind lineares Denken und lineares Management keine Lösungen mehr, sondern stellen ein Problem dar.
Die von der AGENTUR ohne NAMEN stammende Studie „HR Future Trends“ aus dem Jahr 2017 (www.agenturohnenamen.de/hr_future_trends) beschäftigte sich damit, wie Unternehmen mit VUCA umgehen und welche Auswirkungen die VUCA-Welt auf deutsche Unternehmen und ihre Mitarbeiter hat. Rund die Hälfte der 132 teilnehmenden Unternehmen gab demnach an, dass Belastung und Stress für die Mitarbeiter in den vorherigen drei Jahren gestiegen seien. Störgefühle, Ängste und Unsicherheiten hätten sich in dieser Zeit vermehrt, was sich auch im Krankenstand widerspiegelte, der bei 77 Prozent der Unternehmen erhöht oder auf gleichbleibend hohem Niveau war. Während 57 Prozent der Führungskräfte eine gezielte Begleitung im Rahmen von Change-Prozessen erhielten, waren es bei den sonstigen Mitarbeitern gerade einmal ein Drittel. In vielen Unternehmen fehlt es also noch an Begleitung und Aufklärung, die aufgrund der Radikalität der derzeitigen Veränderungen nötig sind, damit Mitarbeiter diese pro-aktiv gestalten können. Laut der Studie überwiegen bei den Mitarbeitern Gefühle von Angst, Unsicherheit und eine abwartende Haltung – eine Folge zu vieler aufeinanderfolgender, unbegleiteter Veränderungsprozesse und unzureichenden Change Managements.
Was bedeutet das alles für die VUCA-Führung, also die Führungskräfte? Auch diese stehen natürlich vor immensen Herausforderungen. Zum einen sind sie aufgefordert, die Transformation im Unternehmen voranzutreiben, zum anderen ist es ihre Aufgabe, die Mitarbeiter mit ins Boot zu holen. Traditionelle Führungsstile nach dem Motto „Ich sage – ihr macht“ werden im besten Fall durch eine neue Kommunikationskultur und einen kooperativeren Führungsstil abgelöst. Leider ist dies in vielen deutschen Unternehmen noch nicht der Fall. So schlussfolgerte die „HR Future Trends“-Studie, dass es in Deutschland noch am für eine optimale VUCA-Führung notwendigen Pioniergeist fehle. Das liegt unter anderem daran, dass es in 40 Prozent der befragten Unternehmen an einer gelebten Fehlerkultur mangelt – die für die Entwicklung von Neugier, Kreativität und Innovationskraft so wichtig ist. So gaben lediglich 23 Prozent der Unternehmen an, eine
Fehlerkultur eingeführt zu haben, in den restlichen 37 Prozent wird sie nach Aussage der Teilnehmer nur manchmal gelebt. Das Fazit der Studie: Ein großer Teil der Unternehmen ist nicht fit für die Zukunft und hat agiles und flexibles Arbeiten noch nicht konsequent genug umgesetzt.
Auch die Wirkung von VUCA auf die Organisationsstrukturen deutscher Unternehmen ist noch gering. Hier herrscht bei vielen noch die hierarchische Organisationsstruktur vergangener Zeiten vor. Eine Gemeinschaftsstudie von StepStone und Kienbaum (www.stepstone.de/Ueber-StepStone/knowledge/organigramm-deutscher-unternehmen-i), die sich im Jahr 2016 mit den Organisationsstrukturen deutscher Unternehmen befasste, konnte zeigen, dass die meisten Fach- und Führungskräfte nach wie vor mit einem Einlinien-Führungssystem arbeiten.
Es ist also eine demokratische Unternehmenskultur und -struktur zu fördern, die mit dem Abbau von Hierarchien beginnt. Um Innovationsgeist zu fördern und die Mitarbeiter ganz im Sinne agilen Arbeitens zu aktivieren, braucht es außerdem Empowermentprozesse, die die Mitarbeiter zu eigenen Entscheidungen befähigen. Es ist nun verstärkt Aufgabe der Personalabteilung, ein strukturelles Empowerment einzuleiten, zu begleiten und umzusetzen.
In deutschen Unternehmen fehlt es außerdem noch klar an Weiterbildungsangeboten hin zu neuen, VUCA-kompatiblen Arbeits- und Führungsstilen. Hier sind Qualifizierungsmaßnahmen durch selbstorganisiertes Lernen denkbar, etwa in Form von Online-Kursen, Augmented Reality, Spielmodellen (Serious Gaming) und Mobile Learning. Die zuständigen Mitarbeiter in der Personalabteilung werden dadurch noch viel mehr zu Weiterbildungsberatern.
Quellen: Mack, O., Khare, A., Kramer, A., Burgartz, Th. (Hg.) 2016: Managing in a VUCA World. Springer Verlag. S. 7.