Strategische Weiterentwicklung von Organisationen – mit klassischen Tugenden
Persönliche Werte von Führungskräften und Unternehmenswerte müssen im Einklang stehen, um überzeugend agieren und auftreten zu können. Dies gilt in keinem Bereich so sehr, wie in der Personalverantwortung. Hierarchische Führungsstrukturen lösen sich auf. Die Forderung nach Agilität ist in aller Munde. Zeit, sich klassischer Tugenden bewusst zu werden, ohne die eine Transformation des Unternehmens in agile Strukturen und die strategische Weiterentwicklung nicht funktionieren kann.
Vorgelebte Tugenden als Führungskompetenzen
Ein Mann ein Wort – während in früherer Zeit, ein Handschlag eine Abmachung im geschäftlichen Umfeld besiegelte, erscheint dies heute ohne Zeugen und schriftliche Absicherung fragwürdig. Ehrlichkeit ist eine Grundvoraussetzung, um langfristig Vertrauen zu gewinnen und zu behalten. Dazu gehört die Fähigkeit zur Selbstkritik als Voraussetzung für persönliche Veränderungsprozesse. Durch Ehrlichkeit verdient sich eine Führungskraft Respekt. Umgekehrt muss eine hierarchisch höher gestellte Person jedem Unterstellten mit Respekt begegnen, um dessen Leistungsbereitschaft und Motivation zu erhalten. Sich der persönlichen Vorbildfunktion und Werte regelmäßig bewußt zu werden, erleichtert Führungskräften das eigene Rollenverständnis in den Kontext des Unternehmensumfeldes einzuordnen.
Die Studie Wettbewerbsfaktor Mensch von Wiebke Köhler und Prof. Dr. Ingo Hamm aus dem Jahr 2019 bestätigt, dass über alle Unternehmensgrößen hinweg Mitarbeiterbegeisterung Fürsorge und Sicherheit durch den Arbeitgeber sowie eine klare und verständliche Strategievermittlung voraussetzt. Mitarbeiter fordern von Führungskräften Verlässlichkeit. Die Wünsche nach maximaler Agilität, dem Ausleben einer Fehlerkultur und operativer Freiheit sind dem untergeordnet. Arbeitnehmern ist es wichtiger, dass Führungskräfte als Vorbilder authentische Führung vorleben, als dass sie als Coach der Mitarbeiter fungieren. Klassische Werte und Tugenden von Führung sind wichtiger als moderne Führungsstile.
Entscheidungen treffen in einem unsicheren Umfeld
Gleichzeitig bestätigen Studien wie der Future Organisation Report 2019 des Instituts für Wirtschaftsinformatik der schweizerischen Universität St. Gallen in Zusammenarbeit mit der Management- und Technologieberatung Campana und Schott, dass der wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen mit agilen Strukturen höher ist. Die Herausforderung für Unternehmen besteht also darin, moderne Führungsinstrumente und althergebrachte Tugenden gewinnbringend zu kombinieren.
Unternehmen müssen sich einem globalisierten Wettbewerbsumfeld stellen. Märkte verändern sich. Die fortschreitende Digitalisierung und der demographische Wandel stellen personalverantwortliche Führungskräfte vor ständig neue Herausforderungen. Wenn das Umfeld und die Zukunft des Unternehmens von soviel Ungewissheit, Volatilität, Komplexität und Ambiguität geprägt ist, wie kann man sich als Führungskraft darauf vorbereiten? Eine der Kernkompetenzen der Zukunft ist die Fähigkeit zum Treffen von Entscheidungen trotz Unsicherheiten – individuell und im Team. Eine weitere, das eigene Rollenverständnis situationsbedingt neu zu interpretieren und dementsprechend zu handeln. Diese Kompetenzen lassen sich trainieren.
Einführung agiler Strukturen
In hierarchisch geführten Unternehmen ist die eigene Führungsrolle durch starre Strukturen gesichert. Das sich zunehmend stärker wandelnde Unternehmensumfeld erfordert eine permanente, auf den Ist-Zustand bezogene Anpassung der Strategien und Prozesse. Die Fähigkeit zu dieser kontinuierlichen Adaption ist eine Kompetenz, die sich alle Führungskräfte erwerben müssen. Sie sind es, die den Wandel in die Wege leiten. Das Ziel der neuen Einstellung ist es, Mitarbeiter über sämtliche Hierarchieebenen zu befähigen, agil zu denken und zu handeln. Sie werden zu Prozessbegleitern.
Agilität bedeutet, Mitarbeiter können ohne lange Entscheidungswege schneller reagieren und eigenverantwortlich Kundenwünsche erfüllen. Die Führungskraft hält den Mitarbeitern den Rücken frei und ermutigt diese zur Neugier. Sie kümmert sich um die Schaffung von passenden Strukturen, Richtlinien und Regeln, welche die Neuausrichtung unterstützen. Mitarbeiter erhalten offenen Zugang zu sämtlichen benötigten Informationen und können direkt mit Kunden, Lieferanten und Geschäftspartnern in Kontakt treten.
Eigenverantwortliche Kompetenzteams aus Mitarbeitern mehrerer Abteilungen arbeiten projektbezogen an einem Thema. Die intensive Kommunikation und der Austausch unterschiedlicher Sichtweisen fördern das Verständnis für die Arbeit der anderen. Die ganzheitliche Betrachtungsweise bringt neue kreative Ideen und Lösungsansätze hervor.
Fachleute erhalten bereits jetzt in hierarchisch geführten Unternehmen, durch den schnellen Technologiewandel und ein verändertes Marktumfeld, zunehmend mehr Verantwortung. Als Spezialisten verfügen sie über wichtiges KnowHow. Sie bekleiden Schlüsselpositionen, die für den Unternehmenserfolg essentiell sind. Personalverantwortliche stehen Young Professionals gegenüber, die agile Strukturen als Selbstverständlichkeit fordern. Die Digital Natives sind mit rasanten Veränderungen aufgewachsen. Die Herausforderung besteht darin, alle neuen Anforderungen und traditionellen Sichtweisen unter einen Hut zu bringen, ohne die Mitarbeiter und einzelnen Abteilungen eines Unternehmens zu überfordern.
Ein gemeinsamer Nenner zwischen alt und neu
Umstrukturierungen sind mit Unsicherheiten verbunden. Den Verunsicherungen der Mitarbeiter muss Rechnung getragen werden. Eine professionelle Vorbereitung auf die Veränderungsprozesse ist unabdinglich. Der Future Organisation Report 2019 bestätigt, dass 74,5 Prozent der Mitarbeitenden den weiteren Aufbau neuer Fähigkeiten, die für agile Arbeitsweisen nötig sind, als essentiell ansehen. Vor allem Führungskräfte müssen lernen, mit den neuen Verantwortlichkeitsstrukturen und dem veränderten Rollenverständnis umzugehen.
Es muss klar sein, dass veränderte Hierarchien nicht bedeuten, frei von Verantwortung zu sein. Agilität fordert, Scheitern und Fehler konsequent als Lernprozess zu sehen. Doch ist es kein Freischein für eine komplette Abgabe von Verantwortung. Trotz neuer, flacher Hierarchien bleibt die Zielsetzung immer Führungsaufgabe: Führungskräfte bleiben Führungskräfte. Die Kompetenz zur Kritik und analytischen Selbstreflexion darf nicht abhanden kommen, trotz des konsequenten Willens zur Veränderung. Werden Gefahren und Widersprüche erkannt, heißt es gegenzusteuern. Im Notfall kann eine externe Sichtweise helfen, die Ursachen für Probleme und Konflikte aufzudecken.
Auch innerhalb gleichberechtigter Teams bilden sich aufgrund höherer Kompetenzen automatisch Hierarchien heraus. Die geforderte Selbstorganisation erfordert eine hohe Eigenverantwortlichkeit. Strukturen, egal von außen oder intern festgelegt, schaffen Klarheit und unterstützen beim Treffen schneller Entscheidungen.
Verankerung klassischer Tugenden in den Unternehmenswerten
Die Rückbesinnung auf althergebrachte Tugenden und die Einführung bzw. der Ausbau einer komplett neuen Denk- und Handlungsweise scheinen auf den ersten Blick kontraproduktiv: Überholtes soll zurückgelassen und abgeschüttelt werden. Doch das Rückbesinnen auf eigene Stärken unterstützt Fach- und Führungskräfte beim Beschreiten neuer Wege. Sind die relevanten, klassischen Tugenden zudem fest in den Unternehmenswerten verankert, wirken diese Sinn stiftend und geben Halt. Wird Vertrauen und Eigenverantwortung von den Mitarbeitern gefordert, müssen Vertrauen und Eigenverantwortung zuvor Teil der Unternehmenskultur sein.
Führungspersönlichkeiten spielen bei der Weiterentwicklung einer Organisation eine tragende Rolle. Sie zeigen ihren Mitarbeitern den Weg auf und fungieren als Vorbilder. Die Beziehung der Unterstellten zu ihren Vorgesetzten darf nicht unterschätzt werden. Vor allem wenn die Beziehung gut ist, haben Mitarbeiter größere Probleme mit veränderten Hierarchien. Nicht jeder Angestellte hegt den Wunsch nach uneingeschränkter Selbstentfaltung. Die Führungskräfte sind Projektionsfläche für Risikobereitschaft und Zuversichtlichkeit als Voraussetzung für das Überwinden von Krisen – unabhängig vom Managementansatz.
Durch die Kombination aus bewußt kommunizierten und aktiv im Unternehmen gelebten Tugenden können Unternehmen agiler werden, ohne ihre Stabilität zu verlieren. Führungskräfte, die Angst davor haben, durch Veränderungsprozesse ersetzt zu werden und ihr Lebenswerk unzureichend gewürdigt sehen, gewinnen an Sicherheit. Durch professionelles Coaching ist es möglich, Verweigerungshaltungen abzubauen sowie die Motivation für das Erlernen neuer Methoden und Kompetenzen zu schaffen: Führungskräfte lernen, neue Managementinstrumente als Erweiterung ihrer Kompetenzen im Sinne eines Upgradings und nicht als Downgrading zu verstehen.
Coaches stehen also vor der spannenden Herausforderung, unter der Berücksichtigung der individuellen Rahmenbedingungen eines Unternehmens, Führungskräfte für agile Methoden und Strukturen zu öffnen und fit zu machen. Sie sind die Grundlage für die strategische Weiterentwicklung einer Organisation und eine konsequente Antwort auf die sich kontinuierlich verändernden Herausforderungen des Wettbewerbs und technologischen Umfelds.